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LE-Nightflight

Bericht

The Tiptons

Mittwoch 10. März 2004
Tangofabrik, Leipzig

Vier Seattler Saxophonistinnen und eine Percussionistin bezauberten mit einem lebendigen Mix der Stile ihr aufmerksames Publikum.

Rock oder Hose, dass spielt heute nicht mehr die Geige, wenn’s um Jazz geht. Wobei Amy Denio in ihrem knielangen Schwarzen sehr attraktiv aussah. Die Namensgeberin des Jazzquintetts, Billy Tipton, musste sich in den 40er Jahren als Mann verkleiden, um überhaupt mitmischen zu dürfen. Über 60 Jahre später nimmt man die 5 Musikerinnen aus Seattle (USA) sehr ernst, anfänglich sogar ein bisschen zu ernst. Es dauerte ein paar Titel, dann begann das brave, ehrfürchtige Publikum in der Tangofabrik langsam etwas aufzutauen. Und im Zugabenteil hätte endlich die Party los gehen können. Doch da war es schon fast Mitternacht.

Ziemlich pünktlich, kurz nach 21.00 Uhr starteten die Amerikanerinnen. Und ganz unaufgeregt präsentierten sie Stück für Stück musikalische Feinkost. Sie machten nicht mit großen Gesten Eindruck, hatten keine Show einstudiert, waren nicht drauf aus, ihr Publikum in extatische Begeisterung zu versetzen, aber sie zogen es in ihren Bann und konnten sich des bewundernden Interesses und der Anerkennung sicher sein. Zumeist sitzende aber auch ein paar stehende Grüppchen beobachteten mit gespannter Aufmerksamkeit.

Die Tangofabrik, in der schon oft zu heißen Ska-Rhythmen, zu Fermin Muguruzas Ska-Punk-Crossover, zur Releaseparty von ‚Boing Agrupapulci’ abgehottet wurde, strahlte ruhige, gediegene Clubatmosphäre aus. Nach einem langen Arbeitstag konnte man in den zahlreichen Sofas bequem versinken und auf die Musik hören. Die Kerzen auf den Tischen brachten schummrige Gemütlichkeit.

Als ausgesprochen harmonisch und angenehm empfand man auch die Musik, obwohl sie eine vielschichtige, spannende und äußerst temperamentvolle Melange aus sehr unterschiedlichen Stilrichtungen war. Grenzen gab es keine. Die Erfahrungen, die fünf Frauen über etliche Jahre ihrer Musikerinnenpraxis gemacht hatten, die Einflüsse, die sie aus unterschiedlichsten Richtungen erhielten, verwoben sie zu einem einzigartigen musikalischen Ausdruck. Ausgewogen bildeten Rock und Jazz, jüdische Traditionen, Gipsy Brass, Latino-Rhythmen eine Symbiose. Regelmäßig entwickelten sich die Titel in ganz ungeahnter Weise, ohne dass man auch nur für Augenblicke über den Fortgang verwundert gewesen wäre. Zauberhafte Stimmungen, ein Schweben erzeugt durch ein zartes Vibrato der Saxophone, in das der teilweise nur gehauchte Scatgesang eintauchte, wurden scheinbar mühelos in Freejazzimprovisationen überführt, bevor das Stück wieder Beruhigung erfuhr um dann einen jiidisch volkstümlichen Charakter anzunehmen und in ein beschwingtes Tanzstück überzugehen.

Zwei Worte vielen und dann unterhielten sich Amy Denio’s und Tobi Stones Saxophone wie ein altes Ehepaar. Das eine war offensichtlich traurig und beleidigt, das andere ging darauf ein. Was dabei herauskam war Palaber und Geheul. Kurz flammte das stolze Thema Ravels „Bolero“ auf. Immer wieder setzte die Multiinstrumentalistin und Vokalistin Amy Denio auch ihre ungeheuer modulationsfähige Stimme ein, um die Stücke mit ihrem Skatgesang klanglich zu bereichern. Intonationssicher über einen großen Stimmumfang jazzte sie im Einklang mit den Saxophonen.

Wenn man ihre mitreißende CD-EP „Short Cuts“ kannte, musste man feststellen, dass bei diesem Live-Erlebnis die freie Improvisation und der Jazz sehr viel stärker waren als auf der sehr stimmungsvollen, mehr vom Folk geprägten Scheibe. Aber auch unglaublich viel Humor und Phantasie brachte die 1987 in Seattle als ‚The Billy Tiptons Memorial Saxophone Quartett’ gegründete Formation mit. Mittlerweile ist die Band auf vielen wichtigen internationalen Festivals wie auch dem North Sea Jazz Festival, Hörfest in Östereich zuhause.

Nach tosendem Applaus, Grölen und Trampeln des endlich aufgetauten Publikums waren noch zwei Zugaben fällig. Beim „Pinguin Dance“ tummelten sich lustige, flotte und ziemlich aufgeregte Pinguine. Bevor der letzte Titel noch mal temperamentvolle latino Rhythmen brachte.

Sollten diese fünf Frauen als Tiptons oder in anderer Konstellation wieder einmal in der Stadt weilen, ist ein Konzertbesuch unbedingt angezeigt. Beschreiben lässt sich das Erlebnis mit ihnen sowieso nur zum Teil. Ihre Vielseitigkeit garantiert darüber hinaus ständig neue Aspekte und Eindrücke. Die Klasse ihrer Kunst ist garantiert. Alleine die hervorragenden Referenzen, die jede der Damen vorzuweisen hat, machen neugierig. So stand die Bandleaderin, Alt- und Tenorsaxophonistin Jessica Lurie unter anderem mit Booker T. Jones, Maceo Parker oder Charlie Hunter auf der Bühne. Amy Denio war in Leipzig noch durch ‚Kulturshock’ in bester Erinnerung. Bereits 1986 hatte sie ihr eigenes Label „Spoot Music“ gegründet. Seither nahm sie mit vielen internationalen Musikern auf. Die Gewinnerin des Preises „Beste Hornspielerin“ der Washington Blues Society 1999, 2001 und 2002, Sue Orfield, hatte schon die Ehre, mit Dizzy Gillespie und Bobby McFerrin auftreten zu dürfen und spielt in verschiedenen Jazz-Ensembles. Bei den Tiptons spielt sie das Tenorsaxophon. Zu den Referenzen der Bariton-Saxophonistin Tobi Stone gehören Namen wie Dave Brubeck und Nancy King. Sie kann Big Band Erfahrungen vorweisen, spielte im ‚New Yorker Frauen Jazz Orchester’, in einer Salsa Band und gründete ein Jazz-Quartett. Die stilistisch vielseitige Schlagzeugerin Elisabeth Pupo-Walker studierte unter anderem bei hervorragenden Trommlern und Perkussionisten aus Cuba, dem Senegal und Brasilien. Auf Peter Gabriels „Womad Festival“ trat sie zum Beispiel mit Zakir Hussain und Joan Osborne auf.

pepe 

Amy Denio wird am 12. Mai 2004 mit Kultur Shock in der Tangofabrik zu erleben sein.

Weiterlesen:

Kultur Shock! 06.07.03 Gießer 16 - Leipzig - Bericht

 

 

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