56. Gigantenstadl
W:ax - record release

Sonntag, 15. September 2002,
Moritzbastei, Leipzig

Am 15.09.2002 war es endlich wieder soweit. Die IG-Pop lud ein weiteres Mal zum nun schon 56. Gigantenstadl in die Moritzbastei ein. Bereits zur guten Tradition geworden sind diese ‚Stadl’ wichtige Szene-Highlights und Plattform für hoffnungsträchtige regionale Nachwuchsbands sowie auch für Localheros.

In der Tonne spielten diesmal ‚Phonetic’, ‚d.h.’ und zum krönenden Abschluss ‚W:ax’, während in der kleinen Ratstonne ein Filme-Marathon stattfand. Auch dieser Abend wurde in Zusammenarbeit mit der Initiative „Durchblick“ veranstaltet.

Anstelle der Punkrockband ‚Soap Fanatics’, eröffneten ‚Phonetic’ den Abend mit durchaus radiogängigen Pop-Rock-Melodien in unglaublicher Lautstärke. Hart und kraftvoll schlugen die Gitarristen in die Seiten. Drummer und Bassist, nicht minder heftig, sorgten mit einem sattem Punch für den Zusammenhalt der Titel. Hier war die ungezügelte Jugend mit riesiger Spielwut unterwegs. Der Gesang und der schöne runde Klang der Semiakustik-Gitarre gingen dadurch allerdings leider ganz verloren.

Mit deutschsprachigem Punkrock kamen nun ‚d.h.’ auf die Bühne. Die Musik der vier Jungs aus Zeitz ist mitreißend, manchmal punkmäßig hart und laut, dann wieder verhalten und sensibel. Wir hörten melodiöse, eingängige, Rocktitel mit simplem Strophe-Refrain-Aufbau und sehr nachdenklichen Texten, Punk-Gitarren und einen rockigen Groove – Punkrockpoetry eben. Humorvoll trugen sie die knapp über dem tief sitzenden Hosenbund ‚tatoo’-vierten Worte „kurze Hose, Holzgewehr“ zur Schau und machten damit auf ihr jüngst erschienenes Album aufmerksam. Schnell hatte die sympathische Band denn auch die Zuhörer auf ihrer Seite bevor sie uns noch erklärten, was Popwarheros sind und den Platz für ‚W:ax’ räumten.

Diese waren auf jeden Fall die Stars des Abends und wer weis, vielleicht sind sie tatsächlich irgendwann ‚worldwidewax’. Der so lautende gigantische Titel ihres Debütalbums, dessen Record-Release hier höchst erfolgreich gefeiert wurde, greift jedenfalls gleich nach der ganzen Welt. Mit so großartigen und schwer hitverdächtigen Songs wie zum Beispiel „Never back“ oder „Psychobabes“ ist das grundsätzlich völlig berechtigt. Die kleine Scheibe in durchgängigem, stilvollem Layout reiht zwölf unverwechselbare Perlen mit unendlich vielen kleinen akustischen Verwöhnelementen aneinander. Noiesepop – das sind im Falle von W:ax grungiger Gitarrensound, subtiler Groove von Bass und Schlagzeug, nie vordergründig, aber stets präsent und die Spannung vorwärtstreibend, poppiger Gesang, manchmal schmerzvoll, dann wieder zärtlich tröstend, mal voller Kraft und Zuversicht, mal verzweifelt traurig. Zwischen schwungvollem, ermutigendem Rock und melancholischen, leisen Phasen, psychedelischen Klängen oder einfach nur verträumten, wohltuend beruhigenden Harmonien baut sich eine Spannung auf, die in den Bann zieht und die ganze Palette der Gefühlswelt durchleben lässt. Unterstützt wurden W:ax an diesem Abend durch Hansi Noack (Violine) und Stephan Schmidt (Backgroundgesang in „Psychobabes“). Wer als Gast der Veranstaltung das große Glück hatte, zur Eintrittskarte diese wunderbare Scheibe als Zugabe erhalten zu haben, wird noch lange und viel daran zu Entdecken haben. Allen neugierig gewordenen Noch-nicht-Besitzern sei der Erwerb von „Worldwidewax“ wärmstens ans Herz gelegt. Es lohnt sich! 

Bei soviel guter Musik ist das Irre Kino in der kleinen Ratstonne ganz zu unrecht etwas untergegangen. Neben zahlreichen sehenswerten Kurzfilmen wurde die 100. Liveperformance der Station 17 gezeigt. Station 17, ein Musikprojekt geistig behinderter Menschen beinhaltet interessante Soundexperimente ebenso wie sehr weiche, beruhigende Klänge oder Hardcore. Die absolut unkonventionelle Musik drückt unverfälscht Lebensgefühle aus, positive wie negative, ehrlich und pur. Und diese Gefühle unterscheiden sich kein bisschen von den eigenen Gefühlswelten mal sensibel, mal wütend, mal verletzt oder wieder glücklich. Hut ab vor den Organisatoren dieser Performance-Reihe, Anerkennung dem musikalischen Können sowie dem Sinn für Rhythmus, Spannungsbögen und Dramaturgie der Musiker!

pepe