Neues Glas aus alten Scherben
26.10. Anker

Die neue Mitte frißt den Rand, es fehlt der Widerstand - so isses. Die fünf Mannen von - Neues Glas - sind aufgebrochen, um zumindest darauf hinzuweisen, da es ja mit Veränderungen durch Musik nicht zum Besten steht. Sie lieferten ein faszinierendes Konzert ab. Eigene Stücke und natürlich Songs von - Ton, Steine, Scherben - bestimmten das Geschehen. Musikalisch auf unsere jetzige Zeit abgestimmt, enthielten alle Lieder textliche Botschaften, über die es sich lohnt nachzudenken. Spannungsgeladen, kraftvoll und intensiv rockten die Musiker so richtig ab. Michael Kiessling reichte vom Gesangsstil her gar Tom Waits die Ehre. Er wirkte auf mich genial hilflos, verletzlich und durchaus positiv gesehen charismatisch. Seine Stimme schien aus den Niederungen der wahren Poesie heraufzuschweben und seine Bewegungen ließen den aussichtlosen Kampf gegen die grausame Welt erahnen. Kurz gesagt, ich war schwer beeindruckt vom Gesangsbarden, welcher authentisch und seelenverwandt mit Rio Reiser wie eine Reinkarnation von Selbigen wirkte, fernab von Klischees oder ohnehin hinkenden Vergleichen. Höhepunkte gab es viele während des Konzertes, einen stellte für mich der Song "Keine Macht für Niemand" dar, welcher mir eine generalisierte Gänsehaut bescherte, gegen die ich mich nicht wehren konnte und wollte. Auch der Versuch eines Rappes mit minimaler musikalischer Begleitung war ein gelungenes Experiment die neue Zeit und die alten Scherben zu vereinen. - Wenn die Nacht am Tiefsten ist, ist der Tag am Nächsten - , was gibt es da eigentlich noch hinzuzufügen. Es sind die einfachen und klaren Worte, die uns immer wieder zum Nachdenken über uns und die Welt zwingen und dies ist gut so. Musikalisch nicht wirklich neue Wege beschreitend, stellen - Neues Glas aus alten Scherben - dennoch eine der nicht so häufigen Ausnahmen im heutigen Big-Buisness-Mainstream-Musikeinerlei dar. Das Publikum wirkte sehr aufmerksam und zeigte sich den dargebotenen musikalischen Weisen gegenüber höchst aufgeschlossen und dankbar mittels heftigem Applaus.

Da ich ja bekanntermaßen ein Spaßvogel bin, bleibt eine kleine Stänkerei am Rande natürlich nicht aus. Den Gitarristen empfand ich trotz seines handwerklich sicherlich brillanten Aufspielens als Schnullerbacke. Die von ihm dargebotene alberne Poserei muss ich auf das Schärfste anprangern und außerdem passt sie für meine Begriffe nicht in das Gesamtkonzept der Band, da die anderen Mitglieder eher durch bescheidene Verrichtung der ihnen zugedachten Tätigkeiten glänzten. Ach ja – zum Schluss, wirklich gute Bands geben keine Zugaben !

Ein Gesamtbild der Begeisterung vermitteln wollend verbleibt


anatol