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Bericht

Endausscheid

"Junge Musiker gegen Gewalt und Rassismus"

Iridium, Propaganja, Minority,

...Auch!, Carbonix Acyd, Superkargo

Samstag, 26. April 2003, Anker

Propaganja

„Da muss man sich um den Nachwuchs keine Sorgen machen!“ „Die Jungen zeigen uns Alten wo’s lang geht. Und das ist gut so!“ Kein geringerer als der Ex-Keyboarder der ‚Tino Standhaft Band’, Frank Renner, war beeindruckt von dem Können der jungen Musiker und von der Kraft und der Lebendigkeit ihrer Musik.

Und tatsächlich gingen zum Endausscheid sechs hervorragende junge Bands an den Start, die sich im Laufe des 5. Jugendfestivals 2003 bereits gegen starke Konkurrenz durchgesetzt hatten und von denen zweifellos nicht nur die Siegerband des gestrigen Abends den Preis verdient hätten.

Doch an der Spitze kann nur einer stehen. Und so musste die hochkarätige Jury, zu der Kai Niemann (Musiker), Frank ‚Amor’ Schüller (Musiker), Freddy (Radiomoderatorin), Corinna Ries (Choreographin), Peter Matzke (Musikjournalist) und Patrick Becker (Musikproduzent) gehörten, eine Bewertung vornehmen zwischen eigentlich nicht zu vergleichenden Bands und eine Entscheidung treffen, die eine Band zu recht hervorhebt und alle anderen Anwärter zu unrecht in den Schatten rückt.

‚Propaganja’ heißen die glücklichen Gewinner, die gewissermaßen im Sturmschritt den Weg aus Bad Salzungen auf die große Bühne am Völkerschlachtdenkmal genommen haben. Seit einem halben Jahr erst gibt es diese Formation, wenn sie auch aus der bereits bekannten Band ‚Six Pack’ hervorgegangen sind. „Schon zwei mal haben wir mit anderen Bands teilgenommen. Immer ist irgendwas schief gegangen. Jetzt hatten wir wieder eine neue Band und dachten uns, versuchen wir’s doch noch mal - einmal muss es doch klappen.“ Im Unterschied zu den vorangegangenen Formationen sind sich die Mitglieder heute über die Musik einig. „Bei ‚Six Pack’ wollte jeder was anderes.“ Sie spielen mit großer Freude und einem Schwung, der sofort mitzieht. Dem konnte sich keiner der im Publikum Anwesenden entziehen. Es gab einen Ruck nach vorn Richtung Bühne und der ganze Saal tanzte nach den Reggae und Ska Rhythmen. Den HipHop brachte der zweite Sänger mit in die Band. Das hat sich ergeben ohne das man vorsätzlich nach einem modernen Element gesucht hätte, belebt die Musik aber ungeheuer und verleiht Propaganja den eigenen, typischen Charakter. Genauso, durch Zufall oder besser gesagt zwangsläufig waren sie bereits zum Reggae gekommen. Der Keyboarder hat einfach ausprobiert. Und so hat sich herauskristallisiert, was alle wollen. Man hört es, sieht es, spürt es. Der Reggae, steckt in ihnen drin, der Spaß, die Freude, die Energie kommt aus dem Inneren jedes Einzelnen. Und so merken „die Weltmeister im Überziehen“ (Moderator Alex Huth) nichts von Zeit und Raum, spielen weit über ihre 30 Minuten, beglücken damit ihr Publikum, frustrieren ihre Rivalen, die ihr Programm streng an der vorgegebenen halben Stunde ausgerichtet hatten und damit gezwungen waren, innerhalb der begrenzten Zeit kompakt und prägnant ihr Können unter Beweis zu stellen. Da kommen ‚Propaganja’. Wie die jungen Hunde sind sie losgestürmt, die Regeln missachtend und schnappten sich so auch noch den Preis. Aber mit ihrer jugendlichen Naivität und Freude liegt ihnen jegliche Unfairnes ganz fern. Schließlich kommt es ja vor allem auf den Inhalt der ganzen Veranstaltung an. „Da Reggae nun mal absolut nichts mit Rassismus zu tun hat“, können sie gerade hierüber auszudrücken, was sie denken, wie sie fühlen. Ob sie sich nun für den 30. April noch besonders vorbereiten? „Nein, dazu hätten wir gar keine Chance mehr“ Jeder von Ihnen steckt straff in der Ausbildung. Der Sänger muss nebenbei noch eben sein Abitur machen, andere studieren auswärts. Die Frage nach neuen Zielen, zum Beispiel der Integration einer Bläsersektion wird mit Ja beantworten. Im Besonderen wünschen sich ‚Propaganja’ noch Trompete, Posaune und Percussion hinzu. Solltet ihr Euch also dazu berufen fühlen, im Schweinsgalopp musikalisch erfolgreich zu werden, gibt es in Bad Salzungen beste Voraussetzungen hierfür.

Die Konkurrenz war hart. Darüber waren sich alle Teilnehmer im Klaren. ‚Iridium’ aus Chemnitz hatten an diesem Abend leider nicht das große Glück, obwohl sie es wie beispielsweise auch ‚Carbonix Acyd’ ebenso verdient gehabt hätten, auf ihre Weise. Alle vier sind sie musikalisch top und hervorragende Instrumentalisten, beeindruckten mit feiner, differenzierter Schlagzeugarbeit, einem knackigen, voll klingenden Bass. Der Sänger stampfte wie ein Derwisch über die Bühne und bestand mit kraftvoller, prägnanter Stimme. Ihre Inszenierung machte Spaß. Und das sollte sie auch. „Und da sagt noch mal einer, Blues wäre ‚ne traurige Sache!“ Es ist ihr erklärtes Ziel, den Blues nicht zu schwer und zu traurig zu nehmen, sondern zu zeigen, welche Kraft und Freude, ja Fröhlichkeit in dieser Musik steckt, wie jung er in Wirklichkeit ist, beziehungsweise sein kann. Diese Kraft und den Schwung, die Freude drücken sie am besten aus, in dem sie ihn mit sehr viel Humor und in voller Härte präsentieren. Bluescore ist so draus geworden, völlig unorthodox und ziemlich mutig. Doch der Erfolg gibt ihnen Recht. „Wir hatten mal bei einem Bluesfestival gespielt, alles älteres Publikum zwischen dreißig und vierzig. Die saßen auf ihren Stuhlreihen und schauten uns so an...“ Zur Illustration kam jetzt ein skeptischer, prüfender, fragender Blick. „Aber danach kamen einige zu uns und sagten, ‚das war klasse, das hat mir gut gefallen’.“ Sie hatten Leute überzeugt, die mit einer vollkommen anderen Erwartungshaltung gekommen waren. Von ihrer zweiten Teilnahme am Jugendfestival hatten sie sich vor allem die Qualifikation für den Endausscheid erhofft. Die Teilnahme an sich, dabei sein und eine Auftrittsmöglichkeit haben ist schon ein großer Gewinn für alle Bands. So sehen sie das. Deswegen versuchen sie auch ganz relaxt mit der Tatsache umzugehen, dass die Massen ganz offenbar bei einer Band abgegangen sind, die ihre Zeit um etliches überschritt und auch einige unriskante Covertitel im Programm hatte. Nicht jedem der Mitstreiter war diese Großzügigkeit gelungen. Bei ihnen wirkte sie glaubwürdig, wenn auch in ihren Augen eine riesengroße Hoffnung auf das große Glück geschrieben stand. Ihre Auftrittschancen im Raum Chemnitz beschreiben sie mit sehr schwierig, da die Musikszene in Chemnitz schwer angeschlagen ist und viele Clubs aus finanziellen Gründen schließen müssen. Spätestens aber am 21. Juni 2003 kann man mehr von ‚Iridium’ bekommen. Da spielen sie in Witznitz bei Borna, zwischen Leipzig und Chemnitz. Ein idealer Treffpunkt für Leute mit hohen Erwartungen an gute, kraftvolle, traditionsreiche, lebendige, humorvolle junge Musik.

‚Carbonix Acyd’ machten ihren Auftritt spannend, bezogen ihre Position auf der unbeleuchteten Bühne und begannen dann zwischen mäßigen, weißen Scheinwerfern ihr Feuerwerk an Musik und Show. Das krachte sofort. „We wont, that you loose yourself, we wont, that you forget yourself, we wont that you expresse yourself…” Und sie ließen keine der korrekt eingehaltenen 30 Minuten einen Zweifel daran, dass sie es ernst meinten. Ihre Performance ist ungeheuer expressiv und so mitreißend wie ihr ungebremster, kraftvoller Rock, ihre fetten Gitarrensounds, ihr druckvoller, vorwärtsdrängender Groove. Als musikalische Vorbilder nennen sie unter anderem die ‚Red Hot Chillie Peppers’. Wobei sich Vergleiche eigentlich nicht wirklich ziehen lassen. Denn man kann ihnen durchaus eine starke Eigenständigkeit bestätigen. Für den Schottenrock des Sängers gibt es eine simple aber wesentliche Begründung. Er ist absoluter Schottlandfan und hat sich das Lieblingsteil direkt von dort mitgebracht. Seither wirbelt es gewagt und gekonnt mit dem Sänger über die Bühnen. Mit großen Erwartungen sind sie gekommen, nicht etwa unberechtigt. „Der Endausscheid war eigentlich Pflicht nach der Zweitplatzierung im vergangenen Jahr.“ So der Bassist der Band, der erst vor einem halben Jahr durch einen Aushang in der Uni zu Carbonix hinzu kam. Wenn auch für alle hier der Anker bereits das Ziel war, „ein Sieg wäre schön.“ Die Teilnahme am 30. April also das Traumziel. Damit standen sie mit Sicherheit ebenfalls nicht alleine. Wobei man die Konkurrenz als sehr stark einschätzte. Selbst die Qualifikation für den Anker war keinesfalls von Anfang an sicher. Schließlich hatten sie es im Kanal 28 mit der respektablen Konkurrenz von ‚Swallowed’ zu tun, „eine sehr gute, geile Band“. Das schöne am Festival sei die gute Atmosphäre, obwohl ja die Leipziger Musikszene für Ellenbogen bekannt sei. Hier aber „rücken die meisten Bands zusammen, bis auf wenige, die sich zurückziehen, die den Sinn der Veranstaltung nicht verstanden haben.“ Und das Wichtigste sei doch das Dabeisein.

‚Minority’ sind bestechend sympathisch, auf und auch hinter der Bühne. Zwar sind die Witzeleien des Gitarristen nach dem Motto „Ihr würdet nicht klatschen, wenn ihr ahnen würdet, wie das klingt, was jetzt kommt“ durchaus als Spaß gemeint, soviel Selbstbewusstsein haben sie wohl, aber sie verraten auch so ein ganz kleines Stückchen Unsicherheit, die Hoffnung, dass der Scherz sich als Scherz bestätigt und die unausgesprochene Bitte an das Publikum, dem Gefallen ordentlich Ausdruck zu verleihen. Und in der Tat sind sie so bescheiden, dass sie schon wieder im Auto Richtung Saalfeld unterwegs waren, als sich in der Mühlstraße gerade herauskristallisierte, dass sie sich als Siegerband für den Endausscheid qualifiziert hatten. Aber wer konnte denn auch mit so was rechnen? Das größte Ziel war doch schon mit dem Auftritt erreicht. Dabei sein, Spaß haben, spielen dürfen – das war wichtig. „Ich bin auftrittsgeil. Ich nutze jede Chance, nur um spielen zu dürfen“ gesteht der Sänger und Bassist der Band. „Am besten ist ein enger Kontakt zum Publikum auf einer Ebene, auch wenn die meisten größer sind als ich.“ Somit hatte er in der Mühlstraße optimale Bedingungen. Es war eng, die Bühne klein und das Publikum fast von allen Seiten hautnah. Auf ihren Musikstil und eventuelle Vorbilder wollen sie sich nicht festlegen. Man hört so dieses und jenes, wird mehr oder weniger beeinflusst, besonders halt von den Bands aus der Jugendzeit. Wie die jungen Spunde das meinten, erschloss sich der Autorin nicht so gleich, vielleicht hatte sie ja nicht richtig hingehört. Wie auch immer, die Lieder ihrer Kindheit hatten sie jedenfalls nicht gemeint. Die drei machten mit harten Riffs und einer schlagkräftigen rhythmischen Einheit ordentlich Druck und bewiesen, dass sie auch die große, hohe Bühne des Ankers mit viel Bewegung zu nutzen verstanden. Das Publikum tat ihnen und sich den Gefallen und ließ es sich offenkundig gefallen.

Spaß wollen sie haben, Freude verbreiten, so zu sagen, die Sonne scheinen lassen, aber nie inhaltslos sein. Zur Superstimmung gehört für ‚Superkargo’ auch eine Message. Die größere Bewegungsfreiheit auf der Anker-Bühne wirkte offenbar auch innerlich befreiend auf die fünf Musiker. Jedenfalls präsentierten sie sich sehr viel schwungvoller und gelöster als unter den beengten Verhältnissen der Halle 5. Den Bassisten hatten sie noch kurz zuvor in eine hübsche Bassistin ausgewechselt. Die Funky Reggae Music ist der Kompromiss an die verschiedenen Vorlieben der einzelnen Bandmitglieder. „Es gibt bei uns eine Seite, die sehr dominant ist und den Reggae mitgebracht hat.“ Sagt der Trompeter, der eigentlich mehr auf Heavy und Numetal steht. Zu dieser Seite gehört der Sänger. Er schreibt auch die meisten Songs. Zu seinen Vorbildern zählt die kleine französische Band ‚Babylon Circus’, die sich mit gutem, akustischem Reggae beschäftigt. Der Keyboarder hört eher ‚Tower of Power’ und bringt die Funky Sounds ein. Darüber hinaus saugen sie die Musik von ‚Radiohead’ ebenso auf, wie von B.B. King, ‚Freundeskreis’ und Bob Marlay. Klar, dass ihre Mischung nicht zu vergleichen ist mit dem Reggae von ‚Propaganja’. Sie ist aber ebenfalls sehr speziell und handwerklich richtig gut gemacht. Mit Gästen würden sie gern zusammenarbeiten, zum Beispiel mit mehr Bläsern. Zeitlich ist das aber nicht zu koordinieren, weil jeder von ihnen woanders studiert. „Wir könnten uns vorstellen, mit einem DJ zusammen zu arbeiten.“ Und das könnte in der Tat eine große Bereicherung für die Band und ihren Funky Reggae sein. Gewissermaßen der Katalysator und das Treibmittel für eine Mischung, die verschiedene Impulse vereint, für die der Reggae dann eher eine starke Basis ist und die so das Feuer bekommt, das man zur Zeit noch ein bisschen vermisst. Wie viele Bands sind sie zum Festival gekommen, um die Möglichkeit aufzutreten zu nutzen. „Es ist eine schöne Veranstaltung. Es ist schön, verschiedene Bands zu hören.“ Aber das Bewerten finden sie nicht so gut. „Hier spielen so viele gute Bands, die völlig verschieden sind. Die kann man gar nicht miteinander vergleichen.“

Und dieser Satz trifft haargenau auf ‚...Auch!’ zu, die ihre Musik als unorthodoxen, Grunge-Metal-Schweinerock bezeichnen. Ein Vergleich ist da schlecht möglich. In ihren deutschen und englischen Texten thematisieren sie Gewalt, Drogen, Zwischenmenschliches. Aber nie banal. Da werden viele persönlichen Eindrücke und Beobachtungen verarbeitet. Ihre Songs sind voller Abwechslung häufig, sehr melodiös und doch voll von knallharten Riffs. Sie entstehen eher experimentell, während der häufigen Proben. Diese Zusammenarbeit ist ihnen wichtig und, man konnte sich überzeugen, äußerst produktiv. „Zuerst suchen wir nach einem Riff. Dann bauen wir rundrum.“ Die Ergebnisse präsentierten sie in einer expressiven und sehr gelungenen, intensiven Show. Mit welchen Erwartungen sind sie zum Jugendfestival gekommen? Der Anker war ihr Ziel, nachdem sie bereits im Vorjahr am Jugendfestival teilgenommen hatten. Zwar fiebern sie mit Sicherheit ebenfalls der Entscheidung des Abends entgegen. Aber „Die Konkurrenz ist heute sehr stark.“ Und das Wichtigste ist ohnehin auch für sie das Dabeisein. Sie loben die Gemeinschaft der Bands, die Atmosphäre im Anker. Die war im Geyser Haus nicht so gut. Da waren sie schon sehr überrascht und enttäuscht von unfairen Vorwürfen einiger Kontrahenten, die ihnen den verdienten Sieg nicht so recht gönnen konnten.

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