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LE-Nightflight

Bericht

Phil Collins

Montag 21.06.2004, Zentralstadion, Leipzig

Da hat der selbstkritische Mister Philip Collins, der nach eigenen Aussagen sehr harmoniebedürftig ist und immer einen Berg von Schuldgefühlen mit sich rum trägt, alles bedacht, alles richtig gemacht, um seinen langjährigen Fans ein perfektes Konzerterlebnis zu bieten und schon kommen die Rezensenten und behaupten, es wäre viel zu schön gewesen!

Noch viel zu hell für eine Feier, viel zu nüchtern die Atmosphäre und viel zu leer die Zuschauerränge im Stadion. Die begeisterte Stimmung blieb beim Publikum ebenso aus, wie bei der Vorband selbst, obwohl ‚Mike and the Mechanics’ mit einer Liste an schönen und sich einschmeichelnden Pop-Songs aufwarteten. Solche einstigen Radio-Hits wie „Over My Sholder“ kannte man gut. Mitsingen, Arme schwenken zurück erinnern klappte alles. Aber das Mitfiebern bei jedem Song war noch nicht drin. Schien auch so, als hätte die Band mit Frontmann Paul Carrack nicht mehr erwartet. Eine feine, deutsche Höfner-Gitarre um den Hals, machte Carrack seine Mugge ordentlich. Die warme Stimme mit dem leicht rauen Timbre klang wie aus dem Radio. Der Background-Chor sang sauber und schwenkte die Körper im Takt. Mehr passierte nicht. Kaum zu glauben, dass Gitarrist und Bandleader Mike Rutherford einst zusammen mit dem Hauptact des heutigen Abends in der schlagkräftigen Formation Genesis mitmischte. Phil Collins, Chester Thompson, Mike Rutherford – in dieser Besetzung arbeiteten sie ab 1977 zusammen und gingen 1981 auf die „Three Sides Live“ - Tour.

Gegen 20.30 Uhr begab sich Philip Collins ganz unspektakulär an seinen Abeitsplatz hinter eines der drei Drumsets. Ernst schaute er, konzentriert, kurzes durchatmen. Aber da begann er auch schon sein Trommel-Solo. Immer noch der kräftige Schlag. Das zweite Drumset stand für Chester Thompson bereit, das Percussion-Set für Luis Conte. Zu dritt trommelten sie minutenlang. Die Bühne versenkten sie damit nicht gerade und man weiß ja auch, dass Collins Rebellenjahre weit zurück liegen. Auch die Rhythmischen Raffinessen waren nicht überschwänglich gesät. Aber es machte Spaß und das Publikum freute sich.

Doch Phil war nicht nur zum Trommeln gekommen. Auch wenn der Ex-Schlagzeuger von Genesis den Gesangspart nur übernahm, weil Peter Gabriel die Band 1975 verließ – den Massen dürfte er sich insbesondere durch seine charakteristische Stimme eingeprägt haben. Und so wechselte er an’s Mikro. Der Bläserchor hatte bereits auf der Empore Stellung bezogen. „Something Happend On The Way To Heaven“ war der erste Titel und gleich einer seiner vielen großen Hits. Begleitet wurde er von einem hervorragenden Background-Chor ausgezeichneter Sänger und Sängerinnen, die ausnahmslos alle das Zeug zur Solo-Karriere haben (was später noch in etlichen Duetten und Soloparts bewiesen wurde).

Phil Collins hatte sich auf Deutschland vorbereitet. Den Spickzettel im A3-Format brauchte er nicht wirklich, um einige längere Ansagen in deutsch zu halten. Er begrüßte seine Fans und hoffte, dass seine Lieder viel Freude machen würden. Daraufhin sparte er auch nicht mit Hits, brachte gleich am Anfang „Against All Odds“ (einer der vielen Titel, bei denen Andrew Woolfolk am Saxophone ganz herzerweichende Solis fabrizierte), „Billy Don’t Lose My Number“, „You’ll Be In My Heart “ und auch „One More Night“. Mit „Cant Stop Loving You“ sang er zwar einen seiner neueren Single-Hits („Testify“, 2002), aber auch der war natürlich schon bestens eingeführt beim Publikum.

Alles war sehr schön. Der Bläserchor spielte kraft- und effektvolle Sätze. Die Musik hatte Drive. Die Gesänge waren filigran arrangiert. Cyndi Laupers „True Colours“ sang Collins im sauberen Satz mit dem Chor fast á cappella, begleitet nur von Andrew Woolfolk der mit seinem Sopransaxophon auch immer wieder schöne Soloparts hatte. Die Dramaturgie der Show war ausgefeilt. Collins und seine Musiker brachten Bewegung auf die Bühne. Den funky rockenden „Hang It Long Enough“ absolvierte die gesamte Crew in einem witzigen Gänsemarsch. Bei „One More Night“ huschten Sternschnuppen über die Leinwand im Background. Nach einem lebhafteren „It’s Gonna Be Allright“ inklusive Trommel-Solo interpretierte Phil Collins auf einem Stuhl sitzend, herzzerreißend melancholisch „Groovy Kind Of Love“.

Und dennoch – es rockte nicht. Bis zur Mitte des Konzertes ging einfach nicht die Post ab, fehlte die Atmosphäre. Und das lag nicht nur an dem noch hellen Tageslicht. Es lag vielleicht auch gerade an der Perfektion, mit der alles geschah. Die Titel, deren Auswahl Collins insbesondere mit Rücksicht auf die Wünsche seiner alten Fans traf, kannte man so lupenrein von den Platten. Irgendwie fehlte der „Dreck unter den Nägeln“, das Spontane, ein Stückchen Risikobereitschaft. Und vielleicht wäre der Eindruck ein speziellerer gewesen, hätte sich Phil mehr auf seinen eigenen Geschmack verlassen, dem Publikum ein paar Tophits weniger und dafür nicht so oft gehörte Perlen seines Schaffens offeriert.

Mit zunehmender Dunkelheit und fortschreitender Stunde entwickelte sich dann aber endlich auch mehr Lockerheit und Atmosphäre. Mit „Separate Lives“ und „In The Air Tonight“ arbeiteten sie sich zum Höhepunkt der Show vor. Amy Keys stand im Spotlight auf der ansonsten ins Dunkel getauchten Bühne. „You have no right to ask me how I feel.“ Sie stimmte sensibel den Titel an, den sie schmerzvoll mit Phil Collins und Arnold McCuller mal solistisch, mal im Duett und dann auch im Trio interpretierte. Eine traurig schöne, ergreifende Version mit erheblichem Gänsehauteffekt! Ganz besonders die kräftigen, schwarzen Soulstimmen von Keys und McCuller begeisterten. Mit einem spontanen Applaus reagierte das überraschte Publikum auf den ersten Einsatz Arnold’s. Das war ein perfekt platzierter Effekt. Dem Sänger huschte ein Lächeln übers Gesicht. „In The Air Tonight“ begann mit Suchscheinwerfern. Eine Märchenlandschaft tauchte aus blauem Licht auf, von weißen Blitzen überzogen. Nun begann der Kessel doch noch zu brodeln. Der soulige Motown-Klassiker von den ‚Supremes’ „You Can’t Hurry Love“ ließ die Herzen noch ein bisschen mehr hüpfen. Bei „Wear My Hat“ wurden auf der ganzen Bühne fröhlich die Hüte gewechselt und über Amy Keys, ein paar Titel zuvor eben noch Lady, klärte Collins auf „She’s an easy lover“ und warnte seine Kollegen eindringlich auf Knien. Der absolute Höhepunkt der Show kam mit „Sussudio“. Endlich wagte sich der Superstar für ein Bad in der Menge von der ewig hohen Bühne, ließ seine Fans ins Mikrophone singen. Bunte Papierschlangen fielen mit einem Donnerschlag herunter und flatterten über der Bühne im Wind. Auf den Bildschirmen gabs ein Feuerwerk.

Für die jetzt fällige Zugabe ließen Phil Collins und seine Band sich gut bitten. Dabei wollte er seinen Fans noch sagen „Ich liebe euch“.

Es war seine „First Final Farewell Tour“. Ein bisschen Ironie steckt schon im Titel. Einen hundertprozentigen Abschied von der Bühne hat Phil Collins selbst ausgeschlossen. Nur große Tourneen wird es nicht mehr geben, wie er im Interview mit der LVZ klarstellte. Finanziell hat er das ja auch nicht mehr nötig. Insofern darf man vielleicht sogar ganz besonders gespannt auf die weiteren Ereignisse sein. Steht Collins mit 53 Jahren doch an dem Punkt, an dem er eigentlich nur noch zu machen braucht, was er will und an dem er sagen kenn „I Don’t Care Anymore“. Und wer weiß, vielleicht sind das genau die kleineren, unendlich heißeren Veranstaltungen, bei denen es keine meterhohen Bühnen gibt, bei dem die Hitze Publikum und Interpreten erfasst und für zwei Stunden zur Seelengemeinschaft zusammenschmiedet, solche Konzerte in mittelgroßen Clubs, bei denen geschwitzt wird und die Luft vor Hitze flirrt, wo der Schweiß vom T-Shirt fließt und die Handtücher triefen und alles noch mal von vorn beginnt. „One More Night“.

pepe

Fotos: Susann Friedrich

 

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