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LE-Nightflight

Bericht

14. Tanz & Folk Fest 2004

01.-04.07.2004, Rudolstadt

Roots, Folk, World und die Europameister!

Sie tanzten den Sirtaki und streichelten die Zither, sie sangen olympisch und spielten göttlich. Griechenland war das Schwerpunktland des 14. tff, das am Wochenende in Rudolstadt über die Bühnen ging.

60.000 Zuschauer versammelten sich wie jedes Jahr beim Rudolstädter Tanz & Folk Fest. Olaf Schulze war für LE-Nightflight dabei

Während ich mir das Hirn zermarterte, wie ich möglichst viele Programmpunkte abgreifen könnte, hatten andere schon ihre geistigen Hausaufgaben gemacht und in Schönschrift auf hölzerne Fensterverrammelungen geschrieben. Kleine Kostprobe gefällig?

„Das geschwiegene Wort schreit durch meine Seele und auf der Streckbank des Lebens.“

Das ist Poesie! Solcherart Lyrik gehört wohl nicht unmittelbar zum Fest, zeigt aber eindrucksvoll die große Toleranz der Folkies.

Ich bedauerte keinen kleinen Flugapparat zu besitzen, der mir ein schnelleres Bühnenhopping ermöglichen könnte – aber auch dann hätte ich mich entscheiden müssen: es spielen einfach zu viele interessante Gruppen parallel.

Bill Jones – Englands neue Folkhoffnung, soll ein tolles Konzert gespielt haben, leider ohne mich.

Mal ganz abgesehen von dem Chaos im Luftraum über der Stadt inklusive Heidecksburg und Heinepark, wenn noch mehr Festivalgäste so eine Flugmaschine besäßen.

Also blieb mir nichts als die Wanderschuhe zu schnüren. Und beim Zeus, es hat sich gelohnt. Freitagabend begann auf dem Marktplatz nicht nur eine lange Nacht, sondern ein einmalig schönes Festival der Superlative.

Der Name BOBAN MARKOVIC klingt ein bisschen nach der Innenverteidigung von Wacker Burghausen, aber er kann definitiv besser trompeten als fußballern. Das bewies er überzeugend mit seinem ORKESTAR, das ein solches Feuerwerk an Tuten und Trommeln abbrannte, dass in mir der Verdacht keimte, jemand hätte den Musikern ihre dringend nötigen Beruhigungsmittel mit chili con carne vertauscht.

Wieder unten in der Innenstadt treffe ich bei irisch-skandinavischer Straßenmusik der Dresdner BUCKJIIT auf zwei grauhaarige Zausel, die sich genüsslich eine Tüte in der Größe eines ausgewachsenen Rhabarberstängels teilen und bei ihrer Fachsimpelei über die Handhabung des Kontrabasses zu folgendem Schluss kommen:

 „Es gibt keine leisere Art Bass zu spielen, als ihn wegzulegen und an der Bar einen Drink zu nehmen.“

Süß und schwer wabert eine dicke Rauchwolke über die verzückten Irish-Folk-Hörer.

Die Zeit rückt erbarmungslos voran und im Tanzzelt im Park herrscht Hochbetrieb. Die Musiker der griechischen Kapelle SWARNAS sehen so verblüfft aus, als wüssten sie schon, dass sie zwei Tage später der Nation des Fußballeuropameisters angehören. Wahrscheinlich rührt die Überraschung aber von den Unmengen Leuten her, die frisch und vergnügt zu nachtschlafener Zeit das Tanzbein schwingen.

Nachdem ich einen Original-Suflaki aus dem 3. griechisch-mazedonischen Grenzdorf von rechts getanzt habe, schmeckt der Sirtaki-Spieß an einem der hervorragenden exotischen Essstände besonders gut. Mich beschleicht die fundamentale Erkenntnis, dass es doch genießbares Fastfood gibt.

Kollegium Kalksburg – Österreichs Rache an den Beatles und vielen anderen Pop-Fritzen. Böse und mit Schmäh.

Von „down under“ ist die WHITE COCKATOO PERFORMING BAND nach Rudolstadt geeilt, um traditionelles Liedgut und Tänze der Aboriginies zu zelebrieren.

Ich fragte mich, wie sie das mit dem weißen Kakadu hinkriegen wollen und hatte nicht mit der Cleverness der Darsteller gerechnet. Die nur dürftig bekleideten Herren stäubten sich kurzerhand mit Mehl ein und schon war das Bühnen-Outfit fertig. Das sieht in etwa so aus, als wäre ein wohlgenährtes weißes Baby in fortgeschrittener Krabbelphase auf die Kakaobüchse gestoßen.

Nur farblich umgekehrt.

Jedenfalls weiß ich jetzt, wie der australische Ureinwohner dem Fisch nachstellt und ihn gleich auf dem Spieß unterzubringen versucht, den er dann übers Feuer halten kann.

Einmal im Heinepark habe ich überprüft, ob die HOOTERS auch wirklich alle ihrer vielen Hits spielen und frohlockte schon, einen als vergessen ausgemacht zu haben, aber dann kam „And we danced“ doch noch. Nebenbei stellten sich Gedanken ein wie: „huch, na horche mal – das is ooch von denen?!“

Die „Eulen“ aus Philadelphia begeisterten die Massen mit ihrer sympathischen und schnörkellosen Art. Und es gehört zu den erwähnenswerten Ausnahmen, dass sich englischsprachige Künstler bemühen, die teutonische Landessprache zu benutzen. Auch dafür Respekt.

Der Rasen vor der großen Bühne wird an diesem Freitagabend vermutlich ob der Belastung gestöhnt haben, eine Nacht später hat er rhythmisch geschrieen. Zehn Toltekensöhne (oder elf?) aus Mexiko-City machten mit ihrem Latin-Ska-Punk-Rock die Bühne zu einer Außenstelle von „Jugend trainiert für Olympia“. Nach einigen kurzen Dehnübungen und Hüpfen auf der Stelle gingen die bekennenden Zappatisten dazu über, die eine Hälfte des Publikums zur Okkupation der anderen Hälfte des Platzes zu überreden. Mit großem Erfolg übrigens. Die (zwölf?) Musiker schonten sich selbst nicht und absolvierten einige Kilometer an diesem Abend. PANTEON ROCOCO sind mit ihrer Art lateinamerikanische Musik zu interpretieren mit Fug und Recht als die Urenkel des Buena Vista S.C. zu bezeichnen. Alle dreizehn (oder waren es doch vierzehn?) sind tolle Musiker!

Die Timskis – Mehr als dreißig Straßenmusikbands verstopften Plätze und Höfe und erhöhten den Lärmpegel zusätzlich. Die meisten übrigens sehr ordentlich.

Auch in kleineren Besetzungen ließ sich trefflich musizieren und bisweilen das Publikum aufs Feinste erheitern. Zwei Beispiele sind dafür das deutsche Duo FURIOSEF und die Finnen LA SEGA DEL CANTO, deren Darbietungen stellenweise zirzensischen Charakter annahmen. Die beiden aus dem Jazz kommenden Musikclowns mit dem furiosen Namen führten u.a. die bekannte französische Weise „Frater Jacques“ vor, nicht ohne die Note „h“ durch einen Trötenton zu ersetzen, weil der Franzose ja bekanntlich das „H“ nicht sprechen kann. Folglich – so der Schluss der Furiosefs – können unsere westlichen Nachbarn das „h“ auch nicht spielen.

Jouni Salo (alias J.J. Calo) erläuterte dem vergnügten Publikum, dass sein Instrument noch recht jung wäre im Vergleich mit anderen. Stimmt – denn so lange ist die Menschheit noch nicht mit dem Umgang einer Fuchsschwanz-Handsäge vertraut. Schnell trat er den Beweis an, dass eigentlich alles auf diesem ausgefallenen Instrument spielbar ist. Ein Musiker der leider in diesem Jahr nicht anwesenden Band Elakelaiset versuchte eine Bierflasche zu zersägen bzw. sonst zu helfen, wo es nur ging. Offensichtlich erzeugen die langen Polarnächte in Finnland nicht nur depressive Stimmungen, die in massenhaften Suizidversuchen mit hochprozentigen Betäubungsmitteln enden, sondern ein Teil der Finnen weiß sich köstlich zu amüsieren. Auch musikalisch.

Die RUTH 2004 für die beste deutsche Folkband ging an die süddeutsche Gruppe HISS, die nach dieser Würdigung ein fulminantes Polka-Gewitter über die Burg jagte. Hier die Dankesrede des Bandleaders Stefan Hiss im kompletten Wortlaut: „Danke“.

Es gäbe noch viel zu berichten von hervorragenden Konzerten, von exzellenten Zitherspielern, die wunderbar gemeinsam musizierten, vom leckeren Sanddorn-Birnen-Wein, von schmackhaftem Fladenbrot mit Bärlauchpaste, von Amuletten, die gegen Hochwasserschäden und Mundfäule schützen und von unzähligen kaufbaren CDs.

Ein abschließender Beweis, wie intelligent und verschmitzt der gemeine Festivalbesucher ist, sei mir noch erlaubt. Er oder sie benutzt das Programmheft, indem sie oder er sich die einzelnen Bandtexte daraufhin durchliest, ob die vorgestellten Musiker (und –innen!) eventuell schon mit Fachpreisen für ihr Wirken überhäuft wurden. Kein Wunder also, dass es bei den Auftritten der Dänen INSTINCT zu großen Menschenaufläufen kam. Sie räumten alle eventuellen Zweifel an der Richtigkeit ihrer Prämierung restlos und spielerisch aus.

Mir ist an lebenden Modellen aufgefallen, dass der Einzelhandel Inzwischen Hosen anbietet, deren Taschen exakt im Format des tff-Programmheftes sind. Eine sehr praktische Einrichtung.

Schwerpunktland des Festes war wie schon erwähnt Griechenland. Eine ganze Reihe der besten Vertreter griechischer Folklore sind als Finalisten angereist und fuhren als stolze Fußballeuropameister heim. Da frage ich mich, wie die das machen in Rudolstadt?

Nächstes Jahr ist Brasilien Schwerpunktland. Bloß gut! Da wird Brasilien nämlich 2006 definitiv nicht Schwerpunktland sein und kann also nicht Fußballweltmeister werden. Gerüchten zufolge denken die Folkfest-Organisatoren daran, im Jahre 2006 einfach Deutschland zum Schwerpunktland zu erklären. Das wäre doch was, oder?

Olaf Schulze

 

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