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LE-Nightflight

Interview

Alex Gunia - Part 1

Blick auf den Jazz - Musikalische Entwicklung - Arbeitsweise

Alex Gunia

 

Part 2 > Weiterer musikalischer Weg - Wandel im Musik-Business

Part 3 > Blick auf die Szene - Equipment

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LE-N: Du bist bereits seit Anfang der neunziger Jahre mit verschiedenen Projekten unterwegs und hast mit der Band Peace jetzt einen Stand erreicht, der sich von den früheren Sachen absetzt. Hörte man am Anfang noch ein bisschen mehr die traditionellen Einflüsse vom Jazz, auch teilweise die Mike Stern Sachen heraus, hast du dich nun von diesem Background rein akustisch entfernt. Wie würdest du heute dein Verhältnis zum traditionellen Jazz beschreiben?

AG: Im Sinne von dem, was man an Schulen lernt? Ja, ich sehe es in erster Linie als Handwerk an. Ich mache Jazzmusik, weil ich die Idee des Jazz gut finde. Ich finde es gut, dass sich eine Musikstilrichtung aller zehn Jahre eigentlich komplett erneuern kann. Ich finde es auch interessant, dass man so offen mit Musik umgehen kann, dass ein Einfluss aus allen Richtungen gegeben ist.

Ich finde, alles was traditioneller Jazz ist, das ist toll. Und das war auch vor fünfzehn Jahren ’ne ganz wilde Musik, auch bestimmt eine Fusion von verschiedenen Stilistiken. Aber heute gibt es ja viel mehr.

Es gibt so ein Zitat von Miles Davis. Sinngemäß: Nicht die elektrischen Instrumente machen den Jazz kaputt, sondern schlechte Musiker, die elektrische Instrumente spielen. Damals gab es die Diskussion schon mal, das ist länger als fünfzehn Jahre her, ob man elektrische Instrumente, ob man ein E-Piano spielt oder nicht. Heute ist ein E-Piano völlig normal. Aber so gibt es logischerweise heute andere Sachen, die ein bisschen ungewöhnlich sind, die aber den Jazz bereichern.

Wenn man Jazz als lebendige Musik ansieht, dann muss es ja weitergehen. Es muss sich ja weiterentwickeln. Ich würd’ mir einfach blöd vorkommen, wenn ich heute die gleiche Musik spielen würde, wie die, die ich vor zwanzig Jahren angefangen habe zu hören. Das ist retro. Heute - nach zwanzig Jahren - soll ich mich immer noch mit irgendwelchen Licks beschäftigen, die ich von irgendwelchen Musikern raushöre? Das bringt ja nix. Was überhaupt nicht heißt, dass ich die Musik nicht toll finde, dass ich nicht Respekt vor denen hab, die das können. Aber es ist einfach nicht meine Art, die Musik zu verstehen. Es ist einfach nicht spannend. Also, wenn ich die Musik nur nachempfinde, das finde ich total langweilig. Ich will ein Konzert spielen und im schlimmsten Falle sind fünfzig Prozent total bescheuert und fünfzig Prozent sind super spannend, weil da irgendwas komisches passiert ist, von dem auch keiner so richtig weiß, was das jetzt eigentlich ist. Wobei man sich auch nicht davon freimachen kann, dass es Sachen, die wir heute machen, vielleicht in anderer Form auch schon vor 25 Jahren gab. Weil Leute mit Synthies rumgemacht haben und irgendwelche elektronischen Einflüsse benutzt haben.

LE-N: Also ist für dich das Recyceln von althergebrachtem nicht das Thema.

AG: Für mich nicht. Ich finde, dass man sich weiterentwickeln sollte. Ob man das schafft ...? Man muss sich auch immer fragen, ob man seiner Musik so reißerische Titel gibt oder nicht. Es ist ja marktstrategisch immer ganz geschickt. Und ich finde das auch amüsant, wenn Leute mich angehen und sagen: „Das kannste nicht bringen, ’ne Platte ‚Jazz is dead’ zu nennen.“ Doch, kann ich. Aber selbst das ist ja ein alter Hut. Das gab’s ja auch immer wieder, dass Platten ‚Jazz is dead’ hießen. Deshalb heißt meine ja auch ‚Jazz is dead since ’69.

LE-N: Man kann den Unterschied hören zwischen dieser ersten Platte mit Peace zusammen und der neuen. Mit der neuen stehst du meiner Ansicht nach direkt in Verbindung mit dem, was jetzt an europäischer Musik - gerade mit elektronischem Hintergrund – passiert. Namen wären da Aarset oder Wesseltoft, den du ja auch bei der Arbeit mit dabei hattest. Aber du lässt immer noch etliche Stilelemente ursprünglicher durchkommen, ein bisschen Funk oder eben auch Heavy. Zudem hast du bei der Platte nicht ganz so viel experimentiert, nicht von der Chaos-Theorie her vieles ausprobiert, um zum Ergebnis zu kommen, sondern du hast eher zielgerichtet einen bestimmten Sound erreicht.

AG: Ja, das stimmt, absolut. Ich habe vorher Matalex gemacht, viele Jahre. Wir haben super viel gespielt und Platten gemacht, fünf Stück. Das war eigentlich so mein Hauptding. Ich hatte ein Projekt und um das hab ich mich mehr oder weniger 24 Stunden gekümmert. ‚Peace’ war dann so ein Einschnitt. Ich musste was eigenes machen, was anderes. Ich hab einfach versucht, auch teilweise ganz komische Ästhetiken aufzubauen. Ich hab mal ’ne Kritik gehört von einem Mitmusiker, der ziemlich straight spielt, also wirklich straight ahaed. Der hat die Platte gehört und hat gesagt: „Das klingt, als ob der Computer kaputt währ. Ich finde es den totalen Horror, die Platte.“ Das fand ich super, weil der auch so straight ahaed ist. Ich fand das ganz interessant. Der meinte wirklich, die Platte währ kaputt. Das hat mir gefallen.

Bei der zweiten Platte, das stimmt, da hab ich eher versucht, einen Sound herzustellen, das ganze etwas unschuldiger zu gestalten. Deswegen ist das Cover auch weiß. Ja, und dass es eine Verbindung gibt zum europäischen aktuellen Jazz, das stimmt. Aber trotzdem hab ich da noch so einige Sachen, die ich bewusst anders mache. Das wird auch so bleiben. Das wird bei der nächsten Platte bestimmt auch so sein. Da wird es auch viele Einflüsse geben. Aber am Ende bin ich auch zu faul, irgend etwas zu kopieren. Ich versuche eher, irgendwo eine Ästhetik aufzugreifen oder lass mich mehr von dem Spirit einer Musik tragen, als das ich anfange, Sachen zu kopieren. Was ja auch sehr schwer ist. Also Eivind Aarset zu kopieren ist echt schwierig. Du kannst keine Licks raushören. Du kannst dir theoretisch nur das Equipment von dem kaufen und dann versuchen genauso...

LE-N: Und selbst das wird unmöglich sein, nehme ich an.

AG: Ja, also das geht nicht. Also da muss man schon sein eigenes Ding machen.

Alex Gunia

LE-N: Da wären wir ja schon bei der Arbeitsweise angelangt. Bei Aarset funktioniert es ja im weitesten Sinne analog. Also, er hat verschiedenste Effektgeräte um sich rum, mit denen er zaubert. Und bei dir sieht man eigentlich einen großen Kasten, obendrauf einen Laptop aber relativ wenige Kleinteile.

AG: Ja das liegt aber daran, drei von den Teilen habe ich einfach in den Kasten reingebaut, damit ich es leichter transportieren und beim Gig schneller aufbauen kann. Sonst müsste ich die Geräte immer noch alle miteinander verkabeln. Das Laptop ist da, weil da Loops laufen. Da laufen ab und zu Playbacks und Samples, die dann für alle hörbar sind - auch für den Schlagzeuger - damit wir einfach dazu spielen können. Ich hab ja auch analoge Effektgeräte auf dem Boden und die Herangehensweise ist schon so, dass ich das Gitarrensignal da durchschicke und einfach rumdrehe. Und das gibt komische Sounds. Mal geht’s gut, mal geht’s nicht gut. Die Sounds sind nicht abgespeichert. Ich mach die so im Konzert.

LE-N: Sind es mehr nur die Modulations- und Delayeffekte, die dann live hergestellt werden?

AG: Ja. Wobei ich finde, dass ich eigentlich Rockgitarre spiele und dann ab und zu halt die Effekte da rein fahre. Ich weiß das auch nicht so genau. Also für mich ist das gar nicht so weit draußen, soundmäßig. Klar, teilweise sind da schon fünf Delays auf einem Ton und ein Pitch noch eine Oktave drunter, dann noch der Synthie und ein Ringmodulator. Und dann sind das nur so Soundflächen, Collagen. Das ist jetzt eigentlich im Moment das, was ich machen will. Ich will Collagen machen, Sounds. Und das kann ich mehr oder weniger direkt sampeln. Und dann läuft der Sound, ist mit dem Playback gekoppelt und mit dem Schlagzeug. Der Groove läuft weiter, die Sounds laufen und darüber spiele ich ab und zu auch einfach. Da kommt dann noch mal so ein cleaner Gitarrenton drüber.

LE-N: Bei dieser Arbeitsweise fällt mir auch Doug Wimbish ein oder Wolfgang Muthspiel, die sich selber einen Background während des Stückes aufbauen und darüber improvisieren.

AG: Genau. Ja. Im Grunde ist das im Moment, was ich hier mache. Wobei man sagen muss, es ist ja auch immer eine große Herausforderung, das mit einer klassischen Band umzusetzen, also mit Keyboards, Bass und Schlagzeug. Es wäre natürlich viel einfacher, wenn man’s alleine machen würde oder im Duo. Dann hat man wieder viel mehr Freiheiten. Für die Band ist das auch eine Herausforderung, zu gucken: wo ist die Brücke zum Publikum - damit das Publikum das noch irgendwo nachvollziehen kann – und: was ist darüber hinaus irgendwie experimentell. Na ja, also eigentlich ist das Ziel, dass sich die Konzerte immer mehr unterscheiden. Es gab so eine Phase bei ‚Peace’, wo wir so zehn Gigs gespielt haben und die waren alle ähnlich. Da wurde auch improvisiert aber die Dramaturgie des Konzerts war ähnlich. Und seit Neuerem ist es eigentlich so, dass ich dann auch ganz einfach sage nö, wir spielen jetzt nicht das Programm so wie gestern, sondern wir würfeln das bunt durcheinander. Das ist natürlich auch für die Band spannend.

LE-N: Also werden wir heute Abend nicht das selbe Programm wie gestern hören?

AG: Nee, heute Abend wird’s bestimmt ein bisschen anders. Auf jeden Fall. Vielleicht wird es auch ein bisschen lauter sein. Der Sound wird natürlich ähnlich sein.

LE-N: Aber man kann die Stücke schon wiedererkennen, auch live. Liegt dir daran, das so zu reproduzieren?

AG: Nee, eigentlich gar nicht. Eigentlich ist es so, dass wir als Band ein paar Stücke zusammen erarbeitet haben, was die Kompositionen angeht. Dann haben wir uns im Studio getroffen und drei, vier Tage aufgenommen. Ich hab’ das ja alles auf Bandmaschine gehabt und im Computer und hab dann ein Jahr oder noch länger gebastelt. Die ganzen Bögen, die auf der Platte sind und die Sounds, das ist eigentlich alles im Studio entstanden. Wir versuchen natürlich teilweise ähnliche Sounds zu benutzen und ähnliche Formen. Aber es ist live schon was anderes. Ich finde es viel spannender, wenn die Platte ein Ding ist und es ist live ein anderes Ding. Und ich finde es eigentlich auch spannend, wenn die Konzerte sich sehr unterscheiden. Also das ist dann auch der Jazz. Nichts ist so schön oder so gut, dass es Wert wäre, das ständig zu reproduzieren. Mir ist es einfach wichtig, dass es immer anders ist. Im schlimmsten Fall war es halt mal ein Konzert, da kommst du einfach gar nicht dahinter, was an dem Abend hätte gut gewesen sein können. Und da gehst du von der Bühne und denkst, das war eine Scheiße, das ganze Konzert. Komischerweise kommen dann oft Leute und sagen: ‚Es war tierisch heute’. Also man weiß es ja nie. Aber das ist ja eben Jazz. Wenn Britney Spears auf die Bühne kommt, die weiß ja, dass sie eine Hammer-Show abliefert. Die weiß auch an welcher Stelle die Leute kreischen. Die weiß das alles schon vorher. Da geht’s ja auch um was ganz anderes. Und da fängt für mich Popmusik an. Beim Jazz gehst du auf die Bühne und du weißt nie so genau, was passiert. Und selbst ein Computer ist ein vollwertiger Jazzmusiker. Weil, du weißt nie, wie der drauf ist. Also das Konzert gestern hat auch damit angefangen, dass der Computer abgestürzt war. Aber das ist halt so. Wenn er dann wieder läuft, ist es super. Bei der dritten Nummer lief er ja auch wieder. Und dann kann sich auch jeder drauf verlassen. Aber dann hast du einfach so einen anderen Adrenalinspiegel als Band, so dass du auch völlig anders mit den Sachen umgehst. Das war zum Beispiel das spannende gestern. Wir haben eigentlich mit einer der letzten Nummern angefangen, weil wir da keinen Computer brauchen. Manchmal denk ich schon, ah lass das doch lieber mit dem Computer, weil wenn dann immer wieder der Computer abstürzt! Aber so ist das halt.

LE-N: Von der Ausbildung her bist du ja in erster Linie Gitarrist. Rückt das jetzt in deiner Arbeit ein bisschen weiter in den Hintergrund? Für den Betrachter hast Du mit der Gitarre am Rande zu tun. Und der Rest ist mit Steuerung und anderen Abläufen belegt. Du musst den ganzen Prozess unter Kontrolle halten. Und kannst dich gar nicht richtig los lassen und einfach mal rocken.

AG: Ja. Wobei ich eigentlich immer denke, ich tu das auch. Aber ja, der Prozess ist halt das entscheidende. Der Sound von einer Band, von einer Platte, von einem Konzert, der ist halt von so vielen Faktoren abhängig. Wenn ich Gitarre spiele mache ich punktuelle Einwürfe, sample das. Und oft, wenn die Nummer zehn Minuten dauert, laufen die Gitarren zehn Minuten. Ich hab aber in den ersten zehn Sekunden drei Akkorde eingespielt und verwurste die dann. Ich weiß manchmal selber nicht, kommt der Sound, das Geräusch gerade von der Gitarre oder kommt das vom Keyboard. Das weiß der Keyboarder auch nicht und das weiß der Zuhörer auch nicht. Das kann man, wenn man es aufnimmt, entschlüsseln. Aber auf der Bühne im Konzert weiß man oft gar nicht genau, wer hat da jetzt welche Feedbackschleife und wo kommt das Delay her. Ich hab es oft schon erlebt, dass ich einfach meine Fader runtergezogen habe und dieser tierische Sound lief weiter. Und dann weiß ich halt, ach der kommt ja vom Keyboard. Schade. Oder umgekehrt.

Ich find zum Beispiel Joe Zawinul einfach grandios. Und ich habe Jahre gebraucht, um zu verstehen, was der eigentlich macht. Ich hab auch die Konzerte von dem gesehen früher und hab gedacht, och total langweilig. Der spielt ja gar keine Soli, viel zu wenig. Aber irgendwann hab ich begriffen, dem geht’s um was ganz anderes - darum diese Musiker zusammenzubringen, Cues zu geben, wann was zu ende sein soll, wann wer mal kurz aufbegehren soll beim Spielen. Das ist dem viel wichtiger. So und jetzt ist es natürlich bei ‚Peace’ so, dass man viele Cues gar nicht mehr geben muss. Wir haben jetzt so viel gespielt, dass versteht sich mehr oder weniger von selbst.

Und das stimmt, die Technik fesselt einen schon sehr. Man muss sehr fokussiert und konzentriert sein, um da alles abzurufen. Denn ab und zu gibt es ja dann doch Stellen, die müssen kommen. Das ist bei vielen Nummern so, wenn man A sagt, muss man auch B sagen. Wir wissen dann einfach, wenn jetzt der A-Teil angespielt ist, kommt nach 16 Takten der B-Teil. Da muss man sich schon konzentrieren, damit man auch alle Fader wieder runterzieht und auf die richtigen Knöpfe drückt, damit halbwegs der Sound wieder da ist, der da eigentlich hingehören soll. So ungefähr ist das.

LE-N: Hast du nicht manchmal Bange vor dem technischen Worstcase, dass mal alles streikt. Oder gibt es eine Notvariante?

AG: Nö. Ja, die Notvariante ist, die Gitarre rausziehen und in den Amp stecken und dann einfach spielen. Das geht auch. Da muss man halt als Band sehr flexibel sein. Aber das ist ja auch eigentlich das Spannende. Wenn der Worstcase kommt, dann muss man sich halt was einfallen lassen. Aber der kann auch kommen, wenn das Bassdrum-Fell reißt. Also toi toi toi, aber das ist auch der Supergau. Wenn das Bassdrum-Fell reißt und der Schlagzeuger hat kein neues dabei. Und ehrlich gesagt, ich weiß nicht ob er eins dabei hat. Ich glaube fast nicht. Aber dann wird’s auch spannend, wenn du traditionell Jazz spielst. Weil, es ist keine Bassdrum mehr da. Oder wenn dem Kontrabassisten einfach zwei Saiten reißen. Was machen die dann? Also nö, da hab ich keine Angst. Wir haben ja auch Backups. Wir haben auch Festplatten im Koffer, wo die Sachen noch mal drauf sind. Der Phillipp hat auch viele Sachen im Computer, die ich im Computer hab. Also, notfalls kann auch der Phillipp die Playbacks abspielen bei den Songs, bei denen wir sie benutzen.

 

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