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LE-Nightflight

Feature

Johnny Winter

 

Der Ausnahmekünstler, der „Antistar“ erlaubt sich in erster Linie ein Mensch zu sein. Nur sekundär ist er die Blues Legende, das Gitarrenwunder, der Weltstar. Star wollte er nie sein. Und allen, die ihn so sehen, seinen Fans, die ihm zu Füßen liege zum Beispiel, präsentiert er sich als Normalsterblicher. Ohne seine Handicaps zu leugnen, schwenkt er ihnen zum Gruß seinen Stock entgegen.

Seiner Aura tat das keinen Abbruch, im Gegenteil. Wie Kinder hingen sie an seinen Lippen, liebten sie ihn. Wie einen gutmütigen Großvater, bettelten sie ihn mehr zu geben, ohne Einsicht noch Verständnis dafür haben zu können, dass der alte Herr nicht mehr die alten Kräfte besitzt. Im Herzen noch jung, am Körper krank gab er, was er geben konnte.

Zweifellos gehört das letzte Konzert, dass im Leipziger Anker stattfand, bevor der große Veranstaltungssaal womöglich für immer geschlossen bleibt zu den bewegendsten, berührendsten Erlebnissen die hier jemals stattfanden. Ein Idol, ein Weltstar der nach über vierzigjähriger Musikerkarriere den Höhepunkt seines Schaffens bereits erlebt hat, dessen Ruhm mittlerweile legendär ist, der aber bis heute in Leipzig oder auf dem Piazza Blues Festival in Bellinzona, Schweiz ebenso wie bei Live Shows in Amerika einen regelrechten Hyp auszulösen vermag, ging noch einmal, wer weiß, vielleicht das letzte Mal, auf eine große Europa Tournee. Geplant waren fünfzehn Termine in drei Wochen. In Leipzig durften wir davon das dritte Konzert erleben, bevor die Tournee aufgrund von Vertragsstreitigkeiten abgebrochen werden musste.

Die Spannung im Publikum im mehr als ausverkauften Saal war riesengroß. Die verbrauchte, schwitzige Luft brannte nicht nur der schwülwarmen Temperaturen wegen. Das Gedränge reichte bis auf die Emporen, deren Zutritt eigentlich seit Jahren aus Sicherheitsgründen nicht gestattet ist. Manche alte Fans hatten ihre Platten dabei, die sie in den Achtzigern schwer erstanden oder in Ungarn teuer bezahlt hatten und dazu alle ihre Erinnerungen. Sie waren gekommen, um ihm, Johnny Winter Ehre zu zollen und waren heiß auf das Treffen.

Schon durch das Vorprogramm gut drauf, Gwyn Ashton, ein australischer Bluessolist hatte straighten, ordentlichen Bluesrock gespielt und wurde dafür mit wohlwollendem Applaus bedacht, wurden die Fans langsam unruhig. Im rappelvollen Anker stand die Luft, roch es nach Schweiß, begann die Masse hysterisch zu kreischen. Gegen halb zehn eröffnete die Begleitband mit einem Instrumental die Show. Scott Spray (Bass), James Montgomery (Harp, Vocal) und Wayne June (Schlagzeug) spielten den Freddie-King-Klassiker „Hideaway” ziemlich rockig. Im folgenden Konzert waren vor allem sie es, die Druck machten, wurden die wildesten, intensivsten Gitarrensoli von der Harmonika übernommen, spielte der Bassist eine hervorragende Rhythmusgitarre und bildete zusammen mit dem Schlagzeuger die Powerbase.

Ein alter, unsicherer Mann platzierte sich auf einem Stuhl, ruhig, fast bedacht. Die schlechte Luft machte ihm sichtlich zu schaffen. Freundlich wirkte er, aber ohne große Gesten, eher in sich gekehrt begann er zu spielen. Das Schild seiner Mütze warf Schatten auf sein Gesicht und verbarg den Blick. Manchmal fragte man sich, ob er überhaupt etwas tat. Die Show, das Springen und Animieren überließ er seinen Sidemen, die allezeit darum bemüht waren, ihn einzubeziehen und zu denen er ab und an traurig, ergeben auf blickte. Dass er immer noch präzise Gitarre spielen kann, dass sein Feeling noch voller Leidenschaft und rauem, schweren Blues getränkt ist, dass er das Sliden immer noch zum herzerweichen drauf hat, bewies er in wenigen Soli, für die er sich den Rest der Zeit die Kräfte aufzusparen schien.

1944 in Texas geboren erhielt er durch seine Eltern vorerst eine sehr konservative musikalische Erziehung, lernte Klarinette und Ukulele, bevor er mit Rock und Rhythm and Blues konfrontiert wurde. Die ersten Einflüsse kamen unter anderem von Little Richards, Fats Domino, dem jungen Elvis Presley. Mit vierzehn Jahren formierte er seine erste Band „Johnny and the Jammers“. Bruder Edgar spielte Piano. Schon ein Jahr später brachten sie zwei Singles heraus. In den schwarzen Clubs, in denen er zu spielen begann, hauptsächlich Covers und Rock’n Roll, erlebte er Muddy Waters, B.B. King, Bobby Bland. Diese Erfahrungen waren einschneidend und richtungsweisend. Die Eltern sahen ihn ungern und mit Sorge in den Clubs. Doch sie hatten ihre Söhne Johnny und Edgar in ihrer musikalischen Entwicklung immer unterstützt und behinderten ihn auch hierin nicht. Mit neunzehn Jahren ging er nach Chicago, um die dortige Blues Szene zu checken. In der Folge erschien bei Atlantic Records die Single „Eternally“. Der Song mit Horn-Arrangements des mehr für Big Band Blues interessierten Bruders wurde in Texas-Louisiana ein Hit und brachte Johnny Winter unter anderem als Support der Everly Brothers durch den tiefen Süden.

1968 bekam Winters Karriere einen Schub durch einen Artikel im Rolling Stone, in dem er als „die heißeste Sache neben Janis Joplin“ bezeichnet wurde. Selbst konnte er dieser Einschätzung nie vertrauen. Doch die Major Labels stritten sich um ihn. Schließlich erschien sein Debut Album „Johnny Winter“ ende ´68 bei Columbia Records. Es gehört noch heute zu seinen persönlichen Favoriten. Von nun an konnte Johnny Winter alles machen, was er wollte. Er spielte als Headliner auf unzähligen Festivals, wenn er sich nach Woodstock gefragt auch nur an Regen und Matsch erinnern kann. Zu dieser Zeit interessierten sich noch wenige weiße Musiker ernsthaft für den Blues. Johnny Winter hatte nicht nur das Blues Feeling der Schwarzen aufgesogen. Mit seiner Musik gelang es ihm, den Blues auch bei den weißen Jugendlichen populär zu machen. Viele junge Gitarristen wurden von ihm beeinflusst.

In den späten Sechszigern, als der Blues mehr und mehr kommerzialisiert wurde, riet sein Management ihm, sich ebenfalls mehr kommerziell auszurichten und drohte ihm mit dem Ende seiner Karriere. Die Zusammenarbeit im Trio mit Tommy Shannon (später Bassist bei Stevie Ray Vaughan) und dem Schlagzeuger Uncle John Turner war beendet. Er nahm die McCoys in’s Boot. „Und sie waren gut. Sie waren nette Jungs. Und sie konnten ebenso Blues spielen.“ (Johnny Winter) Vor allem waren sie eine sehr junge und bereits sehr erfolgreiche Band mit einigen Top Ten Hits. Zusammen formierten sie sich als ‚Johnny Winter And’. Die beiden 1970 und 1971 erschienen Alben „Johnny Winter And“ und „Johnny Winter And Live“ waren ungeheuer erfolgreich, wenngleich es die beiden sind, an denen Johnny Winter selbst am wenigsten liegt. „Gut, ich mag sie. Ich mag noch den Rock’n Roll. Nur, ich vermisse den Blues.“ Gab er in einem Interview mit dem Magazin ‚Goldmine’ zu. Mit dem Hyp, den die Band erfuhr konnte er ebenso wenig umgehen, wie mit dem Musikstil, der sich seit der Zusammenarbeit mit der neuen Band entwickelt hatte. Diese Konflikte ließen ihn in ernsthafte Heroinprobleme schlittern, unter die er aber mit dem 1973 erschienenen „Still Alive And Well“ einen endgültigen Schlussstrich zog. Vielleicht ist es auch daher sein Lieblingsstück unter den Rock’ n Roll Alben.

Wenige Jahre später begann für ihn eine der wichtigsten Zeiten seiner Karriere – die Zusammenarbeit mit Muddy Waters. Von ihm war er bereits ende der Fünfziger in den Clubs seiner Heimatstadt beeindruckt gewesen. Zusammen mit Tommy Shannon und Uncle John Turner spielte er 1968 in der Vulcan Gas Company als Opener für Muddy. Fast zehn Jahre später sollte er an dessen Grammy ausgezeichneten Comeback Album „Hard Again“ mitwirken. Das schnelle Einverständnis zwischen den beiden Musikern drückte sich zum einen in der schnellen Arbeitsweise aus. Für viele Tracks reichte gleich die erste Aufnahme aus. Zum anderen waren sie noch mit drei weiteren Alben sehr erfolgreich. Für die 1978 und 1979 erschienen „I’m Ready“ und „Muddy Mississippi Waters Live“ folgten zwei weitere Grammys. 1980 wurde „King Bee“ veröffentlicht. Muddy Waters stand seinerseits Johnny Winter für dessen 1977 erschienenes „Nothin’ But The Blues“ zur Verfügung. Es wurde eines der berühmtesten Winter Alben.

Würde das Gerücht war sein, mit jeder Release wäre ein Tattoo auf seiner Haut hinzu gekommen, dürfte Johnny Winter kaum noch freie Stellen haben. Denn mittlerweile veröffentlichte er vierzig Scheiben. Davon wurden „Guitar Slinger“ (1984), „Serious Business“ (1985) und „Let Me In“ (1991) jeweils für einen Grammy nominiert. Mit „Third Degree“ (1986) hielt er Einzug in die Rock’ n Roll Hall of Fame. Es ist dort gelistet als eines der 101 essentiellen Blues Alben.

Die Jahre vergingen und mit der Zeit auch der Erfolg. Viele seiner Fans, die ihn aus den Sechzigern und Siebzigern kannten, zogen sich zurück. Daran konnte auch sein Auftritt bei Bob Dyllans dreißigstem Bühnenjubiläum nicht nachhaltig etwas ändern, obwohl die Veranstaltung „Highway 61 Revisited“ von Columbia Records auf CD und Video aufgenommen wurde und Johnny Winter als einen der stärksten Acts an diesem Abend zeigt. Unglücklicherweise trafen ihn auch ernsthafte gesundheitliche Probleme, von denen er sich schwer erholte. Doch er wollte wieder auf der Bühne stehen. Das gelang ihm erst 1997. Im März 1998 erschien dann bei Point Blank/Virgin „Live in NYC ´97“. Für die Live Show im New Yorker Bottom Line wählte er die Titel mit Bedacht. „Ich nahm die Songs, die ich für das Album wollte, diese die ich mochte, nicht unbedingt, die jedermann hören wollte. Ich versuchte die auszuwählen, die noch nicht zu oft aufgenommen worden waren.“ Die Wahl kam unter anderem auf solche Perlen wie „Hideaway“ (Freddie King), „Black Jack“ (Ray Charles), „The Sky Is Crying“ (Elmore James).

Nun stand „... der Prototyp des Antistars, des Individualisten, des Außenseiters, der ewige Geheimtipp, der Mann hinter den Schlagzeilen“ (Rainer Bratfisch 1988 in einer Plattenrezension zu „3rd Degree“) 2003 in Leipzig auf der Bühne und scheint die ´88 getroffene Charakterisierung bis heute zu leben.

Berührt vom hysterischen Schreien der Massen, ein wenig ungläubig lächelnd ließ er sich noch zu drei Zugaben hinreißen, für die er seine braune abgegriffene Gibson Firebird und den Bottle Neck hervorholte und die ganz offensichtlich seine letzten Kräfte beanspruchten.

Man mag sich fragen, warum sich einer wie Johnny Winter so etwas antut, die Strapazen auf sich nimmt, mit all seinen Limits auf die Bühne tritt, es riskiert, am eigenen Ruhm zu kratzen und den Heiligenschein in Frage zu stellen. Jeder andere Künstler würde sich zurückziehen, um der Erinnerung an einen erfolgreichen Star auf der Höhe seiner Karriere nicht zu schaden. Er scheint es gar nicht anders zu können, als auf der Bühne zu stehen. Besessenheit gehört wohl dazu, und ein starker, eigenwilliger Charakter.

pepe

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